Dating-Phänomen Negging

Eigentlich sollen Komplimente eine Person erfreuen. Bei dem neuen Dating-Phänomen Negging allerdings hat es immer auch eine negative Komponente, und damit Verunsicherung sowie ein schlechtes Selbstwertgefühl zur Folge. Was es mit dem Dating-Phänomen auf sich hat und wie man sich davor schützt, erläutern wir Dir in diesem Artikel.

Komplimente wärmen die Seele: sie sind wichtig, damit Menschen sich gut fühlen. Komplimente transportieren Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Im Umkehrschluss heißt das aber auch; dass keine oder – noch schlimmer: vergiftete Komplimente – sogar das Gegenteil bewirken können, nämlich dass Menschen sich klein und verunsichert fühlen und ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstbewusstsein noch weniger werden. Und da setzt das Dating-Phänomen Negging an.

Was versteht man unter dem Dating-Phänomen Negging?

Negging sind unauffällige und in zweideutigen Komplimenten versteckte Beleidigungen, die das Selbstvertrauen einer Frau untergraben sollen, damit Annäherungsversuche erfolgreicher werden. Das wenden vor allem Verführungskünstler (auch: Pick-Up Artists genannt) an. Diese Technik soll das Selbstwertgefühl des Gegenübers senken, um selbst im Vergleich dazu attraktiver zu erscheinen. Zwischenzeitlich wird Negging jedoch auch vermehrt beim Online-Dating verwendet.

Die Anwender des Negging missbrauchen nicht nur absichtlich, sondern auch erfolgreich diese Wirkung. Das funktioniert am besten, wenn die Beleidigung ein zweideutiges Kompliment ist. Denn dieses sogenannte Neg lenkt ab – und das durch die Beleidigung verringerte Selbstwertgefühl wird nicht sofort auf den Gesprächspartner projiziert.

Negging wirkt also zunächst wie ein Kompliment, ist aber unterschwellig beleidigend. So wird beim Negging in eine positive Aussage auch eine negative gleich mit eingebaut. Häufig wird das Aussehen der anderen Person herangezogen. Beispielsweise: „Ich mag ja Sommersprossen nicht wirklich, aber deine Augen sind so toll, dass ich dabei deine Sommersprossen gerne übersehe.“

Die Beleidigung ist gut versteckt und wirkt vor allem unbewusst. Studien haben gezeigt, dass Negging tatsächlich funktioniert. Die Fachzeitschrift Psychology Today entdeckte Forschungsergebnisse, die das bestätigten.

Studien bestätigen: Negging funktioniert

Die Forscherin Walster beispielsweise untersuchte bereits 1965 den Einfluss des momentanen Selbstwertgefühls auf die Empfänglichkeit für die romantischen Annäherungsversuche eines Fremden. Die Forscherin ließ eine Gruppe weiblicher Probandinnen mit einem männlichen Forschungsassistenten flirten. Anschließend erhielten die Teilnehmerinnen entweder ein positives oder negatives Feedback zu einem Persönlichkeitstest. Nachdem ihr Selbstwertgefühl auf diese Weise manipuliert worden war, wurden sie gebeten, ihre Sympathie für den männlichen Forschungsassistenten zu bewerten.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Frauen, deren Selbstwertgefühl vorübergehend gesenkt war, den männlichen Assistenten deutlich attraktiver fanden als die Frauen mit vorübergehend hohem Selbstwertgefühl. Die Walster stellte die Theorie auf, dass dieser Effekt aus zwei Gründen auftritt:

1. Personen, die sich selbst als ‚unvollkommen‘ empfinden, können geringere Ansprüche an Partner stellen.
2. Eine Person hat in der Regel ein erhöhtes Bedürfnis nach Akzeptanz und Zuneigung, wenn ihr Selbstwertgefühl niedrig ist. Wenn also eine Person dazu gebracht wird, sich ’niedrig‘ zu fühlen, kann sie potenzielle Liebespartner attraktiver finden.

Auch andere Forscher kamen zu diesem Ergebnis.

Wer Negging betreibt, hat ein geringes Selbstwertgefühl

Vor allem Menschen, die aus einem Gefühl von Machtlosigkeit heraus handeln, also ein geringes Selbstwertgefühl haben und das Bedürfnis nach Verbindung durch sich wiederholende, kurze Begegnungen, die jedoch nicht zu dauerhaften, befriedigenden Beziehungen führen, kompensieren, betreiben Negging. Anders ausgedrückt: wer Negging anwendet, ist selbst sehr verzweifelt.

Das beweist einmal mehr, dass unser Selbstwertgefühl der Dreh- und Angelpunkt bei der Partnersuche und der Partnerwahl ist. Aus einer gefühlt schwachen Position heraus suchen sich viele Personen aus, die stark wirken. Wenn das jedoch in Wirklichkeit Aufschneider sind, die sich selbst nur erhöhen können, indem sie andere herabsetzen, werden sie durch Manipulationen wie Negging oder Gaslighting das Machtgefälle bewahren wollen. Negger sind also überwiegende Menschen mit geringem Selbstwert und starker Bindungsangst, möglicherweise sogar mit Bindungsstörungen, die im Bereich von leichten Persönlichkeitsstörungen zu finden sind, also bei Personen mit narzisstischen Zügen.

Was bedeutet das für Dich

Vorübergehende Beleidigungen, die das Selbstwertgefühl herabsetzen, können eine Person tatsächlich empfänglicher für romantische Annäherungsversuche und williger gegenüber Anfragen machen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das verringerte Selbstwertgefühl nicht dem anderen Interaktionspartner zugeschrieben wird (z. B. wenn die Beleidigung in einem zweideutigen Kompliment versteckt ist).

Ein Wort der Vorsicht …

In erster Linie werden solche Taktiken oft aus einem Gefühl der Ohnmacht und des geringen Selbstwertgefühls heraus eingesetzt. Letztendlich führen sie möglicherweise nicht zu dauerhaften, befriedigenden Beziehungen, sondern nur dazu, dass beide Personen unglücklich sind. Daher sind die möglichen kurzfristigen Auswirkungen zwar intellektuell interessant, aber jeder vorübergehende Gewinn könnte durch noch größere langfristige Schwierigkeiten wieder zunichte gemacht werden. Es wäre daher wahrscheinlich besser, einen akzeptablen Partner mit einem angemessenen Selbstwertgefühl zu finden, der von Anfang an sympathisch und attraktiv ist.

Zweitens ist es jedoch wichtig festzustellen, dass diese Taktiken eine Wirkung zu haben scheinen. Der Einzelne sollte sich darüber im Klaren sein, dass Beleidigungen seine Anziehungskraft und Zustimmung beeinflussen können. Eine Verabredung, bei der Du Dich schlecht fühlst, kann dazu führen, dass Du Dich mehr in den anderen verliebst – und nicht weniger. Sei also vorsichtig.

Drittens sollten diejenigen, die sich Sorgen über die Ethik bestimmter Formen von Beleidigungen in Beziehungen machen, ihre Definitionen erweitern. Solche Taktiken sind nicht auf eine Untergruppe von Personen oder ein einzelnes Geschlecht beschränkt. Sowohl Männer als auch Frauen nörgeln und negieren. Anstatt einfach für die Abschaffung einer bestimmten Verhaltensweise oder eines bestimmten Geschlechts zu plädieren, sollten wir vielleicht ein generelles Verbot solcher Taktiken aussprechen. Zumindest ist es ein Anfang, wenn man sich der möglichen Auswirkungen dieser Verhaltensweise bewusst wird.

Wie kann man sich vor Negging schützen?

Wissen schützt. Bei Personen, die ein starkes Selbstwertgefühl und eine sichere Bindungshaltung haben, wird Negging kaum funktionieren. Und wer darüber informiert ist, was Negging ist und wie es funktioniert, entlarvt den Trick schnell und stärkt die eigene Position. Deshalb ist es wichtig, über Negging Bescheid zu wissen und das Wissen darüber zu teilen.